Thailand in den Zwanzigern: Nichts ist ewig.

Die Welt verändert sich. Neue Technologien, neue Bündnisse, neue Stärken, alte Schwächen. Rund um den Globus merken die Menschen, dass dieses Jahrzehnt viel Wandel mit sich bringt. Die sozialen Medien haben Kommunikation erleichtert und erschwert zugleich. Künstliche Intelligenz und Digitalisierung bringen Chancen und Risiken. Der alten Westen existiert nicht mehr. Und die neue Welt um den Hegemon China ist noch längst nicht felsenfest erschaffen. In Europa herrscht erstmals nach Jahrzehnten Krieg um Staatsgrenzen. Die Pandemie steckt allen noch in den Kleidern. Reichtum und Armut driften ungebremst auseinander. Und mittendrin: Thailand. Gespalten zwischen Fortschritt und Tradition. Zwischen Glamour und Geld, Armut und Existenzsorgen. Zwischen USA und China. Zwischen Urlaubsparadies und „Abzockerland“. Und doch immer noch ein Land, in dem der Augenblick zählt: für Thais und Touristen.

Das postpandemische Thailand ist unstet, gespalten, teuer und bisweilen gefährlich. Höchste private Pro-Kopf-Verschuldung Asiens, stetige Zunahme von Drogenmissbrauch insbesondere unter Jugendlichen, eine der im weltweiten Vergleich höchsten Mordraten und höchsten Anzahl von Verkehrstoten, ständige Gewalteskalationen, fortschreitender Verlust von Arbeitsplätzen im industriellen Bereich und vieles mehr. Thailand war durch seine fruchtbaren Böden und die Agrarkompetenz seiner Menschen einmal ein reiches und unabhängiges Land. Inzwischen wird es ökonomisch von Vietnam, Malaysia und anderen eingeholt: Länder, die bis vor kurzem noch unter kolonialen und postkolonialen Konflikten litten. In Thailand dagegen: ein moralischer Autoritätsverlust vormals sakrosanter Staatsinstitutionen, eine festgefahrene Politik, die sich gegenseitig existenziell bekämpft, keine Innovation in Wirtschaft und Wissenschaft, ein Bildungswesen aus dem letzten Jahrhundert, die Landflucht vieler junger Thailänderinnen und Thailänder mit akademischer Ausbildung, eine sich vertiefende soziale Spaltung, dazu noch die große und die kleine Korruption als vorherrschendes Ordnungsprinzip. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Thailand und Kambodscha tun ihr übriges, um das Land instabil wirken zu lassen. Die häufigen Wechsel der Premierminister in den letzten Jahren, die seltsam wechselnden Parlamentsmehrheiten und das Spiel um Macht prägen das Bild – weit weg von den existenziellen Krisen weiter Teile der Bevölkerung ob im Isaan oder in den großen Zentren. Das ist alles sehr traurig mit anzusehen, wenn man dieses wunderschöne Land mit seinen eigentlich stets freundlichen Menschen kennen und schätzen gelernt hat.

Und doch: Manchmal blendet man all das aus, verliert sich nur im Augenblick. Genießt die noch immer vorhandenen Schönheiten des Landes, sein Klima während des Winters auf der Nordhalbkugel, seine Küche, die nur vor Ort mit frischen Zutaten die volle Kraft ihres Geschmacks entwickelt und das sprichwörtliche Lächeln der Menschen, das sich umso ehrlicher zeigt, je weiter man von den Touristenhochburgen entfernt ist.

Aber dieser Tourismus ist Fluch und Segen zugleich. Zu viel ist in Thailand davon abhängig. Kommen weniger Besucher aus China, wie es nun seit Monaten der Fall ist, breitet sich schnell Alarmstimmung aus: Von den Hotelketten bis zu den kleinen, selbstständigen Banana-Boat-Betreibern, wie im folgenden sehenswerten Beitrag dokumentiert:

https://www.ardmediathek.de/video/weltspiegel/thailand-tourismuskrise-wo-bleiben-die-chinesen/ard/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3dlbHRzcGllZ2VsLzlkZmMxZGFiLTUxOWQtNDUwZi1iYTE5LTc3N2NmMzczMjJjOA

Schon die Pandemie hatte gezeigt, wie schnell gerade weite Teile der armen Leute, die in den Touristenzentren mit Garküche oder als Reinigungskraft von der Hand in den Mund leben (und oft noch Familie in den ärmeren Regionen mitversorgen), in Rekordzeit in existenzielle Nöte abglitten. Und nur durch Spenden überleben konnten.

Dazu kommt: Der touristische Erfolg der Vergangenheit scheint Thailand satt gemacht zu haben. Doch die Konkurrenz ist stetig gewachsen. Neue Ziele, neue Ländern, die ihrerseits in der Lage sind, attraktive Angebote an Urlauber zu machen. Oder – wie China – die bei sich zuhause das touristische Angebot für die eigene, wohlhabende Bevölkerung stetig ausbaut.

Die kommende sogenannte „High Season“ – während des Winterhalbjahres auf der Nordhalbkugel – wird zeigen, ob die Verluste an Besucherzahlen noch in einem akzeptablen Rahmen bleiben oder das Land auch in seinem letzten Feld als „world leading destination“ dauerhaft ins Wanken kommt.

Staatsinstitutionen, Politik, Wirtschaft, Militär und Gesellschaft ruhen sich seit langem auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus: Reisanbau, Zulieferindustrie, Tourismus. Und schlimmer noch: Eine gespaltene Gesellschaft ohne Aufstiegsmentalität lässt diese Lorbeeren verwelken und bricht im Streit mehr und mehr auseinander.

Für alle, die vor allem Thailands schöne Seiten schätzen, bleibt die Hoffnung, dass unsere Einschätzung allzu pessimistisch ist. Wir wünschen uns nichts mehr als dass sie recht behalten. Unsere Skepsis bleibt jedoch vorhanden. So wie gleichsam die Sympathie fürs „Land of Smile“.

Genießen wir daher dennoch den thailändischen Augenblick: Bei einem ruhigen frühmorgendlichen Spaziergang zum Jomtien View Point. Beim Blick über die herbstgrünen Reisfelder des Isaan. Mit einer Tom Yum Gung am Straßenstand in Bangkok oder einem Thai-Bier zum Sonnenuntergang am Strand. Genießen wir das Lächeln der Marktfrau und die Wiedersehensfreude unserer Thaifreunde. Genießen wir das, was wir an Thailand lieben ohne zu vergessen, dass nichts von Ewigkeit ist.

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