Oder: Warum sich Thailand verändern wird.
Eine Urlaubsreise nach Thailand wird für „normale“ ausländische Touristen, egal aus welchem Land, so schnell nicht stattfinden. Denn die derzeitige Lage ist keine tagesaktuelle Randnotiz, sondern weltumspannende Langzeitherausforderung. Wer glaubt, bald – zum Beispiel im Herbst oder zur sogenannten Winter-High Season 2020/2021 – nach Thailand reisen zu können, ist zumindest ein bewundernswerter Optimist. Die Bahn hat das wohl erkannt und macht sogar damit Werbung für ihr Regionalticket. Das freut zwar den Saarländer, schmerzt aber den Thailand-Liebhaber. Trotzdem: Nicht nur der noch vor wenigen Monaten undenkbare komplette Lockdown des Ausländer-Tourismus in Thailand zeigt: Die Welt und das Leben veränderten sich zwar, seit es sie gibt. Selten aber ging es so schnell wie derzeit. Das gilt auch für Thailand. Ende offen.
Wer Fernreisen bisher als lang und anstrengend empfand, für den wird das Reisen in naher Zukunft wahrlich gar kein Vergnügen mehr sein. Flüge nach Übersee werden in absehbarer Zeit seltener, teurer und aufwendiger sein – wenn sie denn überhaupt stattfinden. Ob regionale Reiseerlebnisse für alle auf Dauer die bessere Alternative sind, ist aber dennoch zumindest in Frage zu stellen. Es fehlt bisweilen mindestens der Salzgehalt in der frischen Luft, wie wir in unserem verschwisterten Blog „Saar-Polygon.de“ aus dem Saarland dieser Tage geschrieben haben, siehe hier:
In Bezug auf Thailand gibt es derzeit aber nicht einmal eine Alternative zwischen regional und global. Aufgrund der rigiden Einreisebestimmungen ist das „Land des Lächelns“ schlicht weiterhin nicht erreichbar, so wie wir es vor einigen Monaten schon geschrieben haben.
Die deutsche Lufthansa fliegt zwar – wie andere internationale Airlines – inzwischen wieder regelmäßig von Bangkok nach Deutschland. Auf dem Hinweg sind die Maschinen jedoch fast leer. Touristen: Fehlanzeige. Aber das gilt nicht nur für Reisende aus Mitteleuropa oder bei Lufthansa, sondern für Thailand-Fans aus der ganzen Welt – von China bis Nordamerika.
Thailands Regierung befindet sich in einem Dilemma. Einerseits hat sie dem Schutz der Gesundheit ihrer Bevölkerung oberste Priorität gegeben und ist – glaubt man den offiziellen Zahlen und den inoffiziellen Berichten aus den Krankenhäusern – damit sehr erfolgreich. Andererseits ist mit dem Auslandstourismus eine ganze Branche zum Erliegen gekommen. Lockdown nach dem Lockdown sozusagen. Für unbestimmte Zeit. Denn alle Kompromissversuche zwischen totalem Schutz der Gesundheit und nachhaltiger Wiederbelebung der Branche sind bisher schon am regierungsamtlichen Reißbrett der Ideen gescheitert, geschweige denn auch nur ansatzweise umgesetzt worden.
Mal überlegte man, sogenannte „Reiseblasen“, besser „Reisekanäle“, mit ebenso wenig vom Virus betroffenen Ländern zu bilden, um quasi gegenseitig Touristen „auszutauschen“. Dann wiederum nahm man einzelne Touristengruppen ins Visier, etwa die vermeintlich besonders Reichen, die vermutlich besonders Immobilen oder ausgerechnet die sogenannten „Gesundheitstouristen“. Auch diese Denkmodelle scheiterten: an den Grenzen praktischer Durchführbarkeit oder dem Veto der thailändischen Pandemie-Kommission. Lediglich eine internierungsartige Quarantäne wurde Wirklichkeit und ist nun die derzeit finale und zugleich – sogar für Heimweh-geplagte Thai-Migrantinnen und Migranten in aller Welt – zutiefst abschreckende Reiseoption.
Es wird wohl auch kaum gelingen, aus Thailand – dem sinngemäß übersetzten „Land der Freien“ – ein Reiseziel wie etwa Bhutan zu machen: mit streng rationierten Visa, eng beschränkter Aufenthaltsdauer sowie hohen, obligatorischen Tagespauschalen, durchgeplanten Rundreisen in Gruppen und auf wenige Kontrollpunkte reduzierte Immigrations-Nadelöhre. Dafür ist Thailand zu groß, dafür ist Thailand zu bunt, zu Individuell und dafür ist Thailand zu lange als Destination bekannt, in der Reisende, die das möchten, im weitesten Sinne tun und lassen können, was sie wollen – mit ortsüblichen Einschränkungen natürlich. Sogar viele Töchter des Landes stellte man jahrzehntelang fremden Männern quasi „zur Verfügung“, was in vielen anderen Ländern der Welt wohl in keinster Weise über einen solch langen Zeitraum toleriert worden wäre – zumal in Thailand Prostitution offiziell verboten ist.
Thailand jetzt nur noch begrenzt zu öffnen, ist daher nach unserer Auffassung unmöglich und wird zum Scheitern verurteilt sein. Es gibt eben Entwicklungen, die kann niemand zurückdrehen. Sondern nur durch Zerstörung beenden. Tatsächlich oder intuitiv scheint die Thai-Regierung das zu wissen und hat sich bisher für das andere Extrem entschieden – nicht Öffnung unter zumindest annähernd normalen Bedingungen, sondern quasi komplette Abschottung auf Zeit – wie lange auch immer. Die Nicht-Thais, die da sind, dürfen bleiben – sogar jenseits individueller Visa-Gültigkeiten – aber neue Besucher, die länger oder auch nur für die Dauer eines typischen Pauschalurlaubs kommen wollen, sind konsequent außen vor.
Dies trifft das auf Ausländer egal aus welcher Himmelsrichtung orientierte Tourismusangebot extrem hart. Und man muss sich hier auch nichts vormachen: je länger dieser touristische Lockdown dauert – zwei Quartale, ein ganzes Jahr oder noch mehr – um so weniger dieser Infrastruktur wird noch übrig sein, wenn der ferne Tag kommt und „normale“ ausländische Touristen wieder einreisen dürfen. Sie werden viele ihrer ihnen bekannten und bei ihnen beliebten Destinationen nicht mehr wiedererkennen. Es wird nicht mehr so sein – und vielleicht auch nicht mehr so werden – wie zuvor.
Denn diejenigen Ausländer und Thais, die bisher in den Ausländer-Tourismus investierten und von ihm lebten, werden und können nicht Däumchen drehen bis zu jenem Tag des Comebacks, zumal eben niemand weiß, wie lange es bis dahin noch dauert. Sie werden sich also aufmachen, um alternative Verdienstmöglichkeiten zu suchen – welche auch immer das sein mögen. Und: längst ist nicht die gesamte Tourismus-Branche betroffen. Denn die weitaus längeren von Thailands Küstenstreifen – etwa südlich von Pattaya bis hinunter nach Trat, an der gegenüberliegenden Golf-Seite südlich von Hua Hin bis zur malaysischen Staatsgrenze, aber auch an der Andamanensee jenseits von Phuket oder Khao Lak, sind vorwiegend bis ausschließlich dem einheimischen Tourismus vorbehalten. Hier machen die Thais Urlaub – zumeist in Form von verlängerten Wochenenden. Wenn wir uns als Farang in der Vergangenheit während der Woche in die einsamen Strandabschnitte mit thai-typischen Ferienanlagen verirrten, so hatten wir gelegentlich den Eindruck, die ruhige Wochen-Idylle geradezu mit unserem Übernachtungswunsch zu stören. All diejenigen Thais, die sich auf diese Weise im Tourismus verdingen (und möglicherweise „nebenher“ noch ein paar Durian- oder Ananas-Plantagen auf Opas restlichen Grundstücken weiter im Landesinneren betreiben), sind von der Konjunktur des auswärtigen Tourismus zunächst einmal nicht unmittelbar abhängig. Das sollten diejenigen, die vorwiegend die Hotspots der ausländischen Gäste kennen – in Pattaya oder Phuket, auf den Inseln oder in Phangna – nicht vergessen. Betroffen ist derzeit eben erst einmal „nur“ der Tourismus für auswärtige Gäste.
Trotzdem und jenseits dessen sind die Auswirkungen der Pandemie in Thailand gesamtwirtschaftlich genauso spürbar wie etwa im von der Deutschen Bahn als Vergleich angeführten Saarland.
Thailand ist – wie das Saarland übrigens auch – ein Exportland und hatte hier bereits ganz ohne Pandemie schwer zu kämpfen: wegen internationaler Handelskriege und der zunehmenden mit Zöllen verbundenen „America-First-Politik“, wegen zurückgehender Ernteerträge durch Wassermangel bei Reis und Zucker, wegen der Disruption im Automobilsektor und stagnierender Absatzzahlen beim konventionellen Verbrenner, wegen steigender Personalkosten im Vergleich zu noch billigeren Billiganbietern, wegen der einseitig von wenigen Großen beherrschten Wirtschaftsstruktur des Landes, wegen der Binnenzentriertheit, die selbst bei Universitätsabsolventen oft schwere Wissenslücken bei Fremdsprachen und interkultureller Kompetenz verursacht, wegen einer unterdurchschnittlichen internationalen Zusammenarbeit in Forschung, Lehre, Wirtschaft und Politik, wegen der unsicheren Situation von Regierungen, gewählten Volksvertretern und Jurisdiktion, wegen der ungelösten Vielzahl an gesellschaftlichen Spaltungen im Land, etwa zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Nordost- und Zentralthailand, Angehörigen der Tai-Ethnie und Minderheiten wie den Thai-Chinesen sowie dem ewigen Konflikt mit den Rebellen im Süden. Und weil die Verantwortlichen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft vielleicht zu oft in einzelnen Projekten denken und zu selten in Prozessen.
Dass nun auch noch die Vorzeige-Branche „Ausländer-Tourismus“ ins Wanken gerät, ist kein Auslöser, aber mindestens ein weiteres Ausrufezeichen im Feld all dieser Herausforderungen für das bisher stärkste Land Südostasiens. Thailand wird sich verändern. Die Thailänder werden sich verändern müssen. Sonst wird Thailand verändert. Von anderen. Das Land steht damit nicht allein. Ganz im Gegenteil. Die Auswirkungen der Pandemie sind nur der Brandbeschleuniger in einer Welt, die sich gerade völlig neu aufstellt. Leid tun uns dabei diejenigen, die es sich einfach machen und an eine große Weltverschwörung glauben. Denn es ist in Wahrheit viel komplizierter. Viele kleine Bausteine sorgen für viel Veränderung: technische Neuerungen in ungekanntem Ausmaß, das Ende der Vorherrschaft der USA und Europa nach einer gigantischen, jahrzehntelangen Aufholjagd in Ost- und Südostasien, die erkennbaren Auswirkungen fehlender Nachhaltigkeit auf unsere Lebensqualität und eine Weltvernetzung, die zu keiner Zeit so intensiv, so schnell, so weitgehend war. Und niemand – nicht einmal Xi Jinping und schon gar nicht Bill Gates – hat dafür eine Blaupause.
Wohl dem, der daher in diesen Zeiten seinen persönlichen Anker hat: seine Heimaten vielleicht, seine Lieben, seine Lieblingsreiseorte, seinen Strand, seinen Berg, sein „Geheischnis“ wie die Saarländer sagen würden, sein „Sabai“ wie es die Thailänder nennen. Veränderungen – selbst Reise-Lockdowns – lassen sich leichter gestalten und erleben, wenn Menschen auf festem Fundament stehen, auf einem Fundament, dass sie selbst (mit-)gebaut haben und dass ihnen Sicherheit im Wandel gibt. Damit sie ein bisschen mehr persönliche, politische, gesellschaftliche Gelassenheit haben, damit sie nicht ganz so laut schreien müssen, nicht ganz so misstrauisch sein müssen, nicht ganz so unemphatisch fühlen müssen, sich und andere nicht ganz so unversöhnlich quälen müssen in ihrem Leben. Und damit sie vor allem die Hoffnung nie verlieren, dass man gemeinsam – und nicht gegeneinander – die Welt immer und immer noch ein bisschen besser machen kann als sie ist – in Thailand, im Saarland und anderswo.
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Das ist ein Test !
Und der hat funktioniert. Danke dir.